Historisch: Rote Teufel fegen Kassel 8:2 vom Eis und ziehen ins Finale ein

Harry Lange rang nach Worten nach diesem historischen Sieg, der in die Geschichtsbücher des Bad Nauheimer Eishockey eingehen wird. „Mein Herz hüpft. Ich bin sprachlos. Ich bin unfassbar stolz auf diese Mannschaft.“ Mit sage und schreibe 8:2 (2:2, 2:0, 4:0) fegt seine unglaubliche Mannschaft den haushohen Favoriten, die Kassel Huskies, vom Eis und verwandelt das legendäre Colonel-Knight-Stadion in ein Tollhaus. Eine Stadt dreht durch, ein Verein steht kopf. Dieser Ostermontag im Jahr 2023 wird für immer unvergessen bleiben. Der klare Außenseiter, von Platz sechs in die Playoffs gestartet, hat zunächst in der ersten Runde den starken ESV Kaufbeuren mit einem „Sweep“ aus dem Weg geräumt und nun mit dem 4:2-Seriensieg gegen den souveränen Sieger der Hauptrunde für Ekstase in der EC-Familie gesorgt. Riesengroß der Jubel, aber nicht nur in Bad Nauheim. Die Augsburger Panther bleiben somit in der DEL. Kassel hat das erklärte Ziel, den Aufstieg in die höchste deutsche Spielklasse, nicht geschafft und muss in die lange Sommerpause.

Gescheitert sind die Huskies in diesem sechsten Duell innerhalb von elf (!!) Tagen an einem Team, das mit Leidenschaft, Begeisterung und Moral ins Finale gegen Ravensburg eingezogen ist. Und das, obwohl auch vor diesem Spiel mal wieder eine Hiobsbotschaft einschlug. Marius Erk, ein absoluter Leistungsträger, musste erkrankt passen. Zudem fiel auch noch Pascal Steck ab Mitte des zweiten Drittels aus, der Youngster kehrte erst am Ende des Spiels zurück. Dass mit Tobias Wörle einer der erfahrensten Spieler seit Wochen fehlt, sei noch einmal erwähnt. Denn Wörle ist ein sogenanntes Playoff-Monster, aber diesen Titel haben sich nun etliche Cracks in dieser wunderbaren Mannschaft verdient.

Zum Spiel: schnell, spannend, torreich! Das erste Drittel bot so ziemlich alles, vor allem aber beste Unterhaltung. Die Huskies agierten diesmal etwas verhaltener und attackierten nicht so früh wie in den vorigen Partien. So entwickelte sich eine ausgeglichene Begegnung. Der EC bekam früh ein Powerplay, nachdem Denis Shevyrin den flinken Tim Coffman regelwidrig gestoppt hatte. Allerdings kam der Gastgeber trotz aller Bemühungen zu keiner klaren Chance. Kassel wirkte konzentriert, konterte in Unterzahl zweimal gefährlich und überstand diese Phase schadlos. Wenig später jubelte dann der Gast, denn einen Schuss von Stephan Tramm fälschte Darren Mieszkowski unhaltbar für Felix Bick ab – 0:1. Eine clevere Aktion von Mieszkowski, der nicht entscheidend gestört wurde. Und der Favorit setzte nach. Offensiv-Verteieidger Max Faber stürmte mit nach vorne, verlor dann aber den Puck, und im Gegenzug schlugen die Rot-Weißen eiskalt zu. Daniel Weiß legte Tim Coffman auf, der Keeper Jake Kielly auf dem falschen Fuß erwischte. 1:1, das Stimmungsbarometer stieg weiter an.

Dann kam die nächste kalte Dusche, weil Bad Nauheim vor dem Tor den Huskies zu viel Freiraum gestattete. Tristan Keck bediente Joel Lowry, der noch Bick umkurvte und den Puck über die Linie schob. Doch das war noch nicht alles in diesem spannenden ersten Abschnitt. In der nächsten Szene setzte Taylor Vause in der für ihn typischen Art nach und brachte in der Ecke Max Faber in Bedrängnis. Der hatte Pech, denn sein Schläger ging zu Bruch. Blitzschnell erkannte Jerry Pollastrone diese Situation. Er passte zu Kevin Schmidt, der wiederum den frei vor Kassles Tor lauernden Coffman sah. Der Amerikaner behielt die Nerven, trickste Kielly aus und traf zum lautstark umjubelten 2:2-Ausgleich in Minute 19.

Mit hohem Tempo ging es nach der Pause weiter. Der EC erwischte den besseren Start und ging in der 24. Minute in Führung. Ein langer Pass erreichte Taylor Vause, der auf und davon zog, Kielly umkurvte und aus spitzem Winkel gekonnt zum 3:2 traf. Joel Keussen hatte den Kanadier auf dem Weg zum Tor noch behindert, die Strafe gegen den Ex-Nauheimer wurde angezeigt, aber durch das Tor aufgehoben. Es folgten turbulente Minuten. Keussen beging ein unnötiges Foul an Mick Köhler und musste auf die Strafbank. In Unterzahl leistete sich Marc Müller eine unbeherrschte Aktion, als er Jordan Hickmott nach Abpfiff noch einen Stockschlag verpasste. Das Kasseler Urgestein musste ebenfalls zusehen, und diesmal traf der EC in Überzahl. Durch Taylor Vause, der genau Maß nahm und Kielly erneut überlistete. Dieser Treffer zeigte Wirkung, denn Bad Nauheim setzte nach und war dem fünften Tor nahe.

Die Huskies hatten in zwei Szenen Glück und kamen nach dem Powerbreak wieder zurück ins Spiel. Felix Bick stand wie so oft in dieser spannenden Serie im Mittelpunkt. Als Huba Sekesi die erste Hinausstellung für sein Team akzeptieren musste, herrschte Belagerungszustand. Kassel machte viel Druck, doch das Nauheimer Abwehrbollwerk hielt stand, weil alle mit Leidenschaft kämpften, Schüsse blockten und so den Zwei-Tore-Vorsprung in die Kabine retteten.

Das letzte Drittel, ein Traum für Bad Nauheim, ein komplettes Fiasko für die Huskies. Wer dachte, der EC  würde sich zurück ziehen, sah sich getäuscht. Der Gastgeber spielte mutig nach vorne. Marc El-Sayed, einmal mehr ein vorbildlicher Kapitän an diesem denkwürdigen Abend, war beim 5:2 im Spiel. Zwar wurde der Treffer nach Videobeweis David Cerny zugeschrieben, aber El-Sayed hatte den Puck irgendwie mit der Hand oder der Hüfte über die Linie befördert. Die Referees schauten sich die Szene noch mal an und entschieden auf Tor. Man spürte, es knisterte gewaltig im Stadion. Mehr und mehr wuchs die Zuversicht in den Reihen des EC, dass die große Sensation Wirklichkeit werden könnte. Und Kassel? Die Huskies wurden immer nervöser. Steven Seigo leistete sich gegen den einmal mehr überragenden Daniel Weiß ein ziemlich überflüssiges Foul.

Und Bad Nauheim tat das, was eine erfolgreiche Mannschaft in den Playoffs macht: ein Tor im anschließenden Powerplay. Auf Vorlage von Andy Pauli und Jerry Pollastrone traf Taylor Vause zum 6:2 in der 47. Minute. Noch 13 Minuten bis zum Finale, und jetzt gab es keine Zweifel mehr. Kassels Coach Bu Subr nahm natürlich seinen Keeper vom Eis, aber die Partie war entschieden. Taylor Vause traf ins verwaiste Tor, markierte seinen vierten Treffer an diesem denkwürdigen Abend. David Cerny setzte noch einen drauf und traf gegen die völlig konsternierten Huskies in der letzten Minute zum 8:2-Endstand.

Danach war Party angesagt. Bad Nauheim startete in eine lange Nacht. Der 10. April 2023, ein historischer Tag für das Eishockey in unserer wunderbaren Stadt.

EC Bad Nauheim: Bick – Köhler, Sekesi, Schmidt, Seifert, Wachter, Hafenrichter– Herrmann, Coffman, Hickmott, Pollastrone, Vause, Körner, Cerny, Weiß, Steck, Pauli, El-Sayed, Bartuli.

Trainer: Harry Lange.

Kassel Huskies: Kielly – Keussen, Tramm, Seigo, Faber, Shevyrin, Müller, Geischeimer – Spitzner, Arniel, Sykora, Lowry, Weidner, Keck,  Rosa Petro, Ahlroth, Mieszkowski, Detsch, Tschwanow, Schlenker.

Trainer: Bo Subr.

Tore: 0:1 (11:28) Mieszkowski (Tramm, Ahlroth), 1:1 (14:33) Coffman (Weiß), 1:2 (16:58) Lowry (Keck, Weidner), 2:2 (18:20) Coffman (Schmidt, Pollastrone), 3:2 (23:41) Vause (Pollastrone, Körner), 4:2 (30:15) Vause (Pollastrone, Coffman – 5:4), 5:2 (43:50) Cerny (El-Sayed), 6:2 (46:59) Vause (Pauli, Pollastrone – 5:4), 7:2 (57:22) Vause (EN), 8:2 (59:04) Cerny.

Schiedsrichter: Neutzer/Janssen. – Linienrichter: Pfeifer/Menz.

Strafminuten: Bad Nauheim 4, Kassel 10.

Schüsse: 28:26.

 Zuschauer:  4450 (ausverkauft).

Foto: Chuc.de