Unsere stillen Helden – Folge 5: Ralf Gartz

Wir beamen uns zurück ins Jahr 1992. Ein braun angestrichener Holzbretterzaun umrandet das Städtische Kunsteisstadion am Kurpark, seitlich hinter dem Tor am Kabinentrakt ist noch ein Netz angebracht. Der EC-Trainer heißt Rudolf Sindelar und im Kader des Zweitligisten steht ein gewisser Walt Poddubny, der kanadische Ex-NHL-Haudegen aus Thunder Bay, Ontario. In jenem Sommer kommt aus Hannover ein junger Mann in die Wetterau, der in Butzbach eine Lehrstelle antritt. Seine Bleibe findet der junge Ralf Gartz in der Bad Nauheimer Hauptstraße. Dort wohnt der gebürtige Niedersachse noch heute. Der Weg an den Großen Teich ist nicht weit. „Ralle“, wie er von den meisten gerufen wird, geht zu den Roten Teufeln, erst als Zuschauer, nach wenigen Wochen als Ordner und seit der Meisterschaftsrunde 2007/08 als Mannschaftsbetreuer. In der mittlerweile zehnten DEL2-Saison feiert Gartz persönlich sein 30-jähriges Jubiläum als ehrenamtlicher Mitstreiter beim EC Bad Nauheim. Hut ab!

„Ralle“, wann und gegen wen warst Du zum ersten Mal bei einem Spiel im Bad Nauheimer Eisstadion?
Das weiß ich nicht mehr so genau. Am 1. August 1992 begann meine Ausbildung. Es muss relativ kurz danach gewesen sein.

Im Eisstadion am Pferdeturm hast Du Dir die Spiele des EC Hannover, den späteren Indians, angeschaut. Warum bist Du nicht zu Hannover 96 ins große Niedersachsenstadion gegangen?
Das hat mich nie wirklich gereizt. Außerdem gab es da oft Randale, wenn beispielsweise Derbys gegen Eintracht Braunschweig anstanden.

Was fasziniert dich am Eishockey?
Die Geschwindigkeit, mehr Action als beim Fußball, kaum Krawall unter den Zuschauern. Es ist familiärer und jeder kennt jeden. Wir sind alle Eishockey-Fans.

Wie und wann wurdest du zum Mannschaftsbetreuer?
Das war im Jahr 2007. Ich habe im alten Teichhaus gearbeitet und Matze Baldys und Alex Baum fragten mich, ob ich das machen will. Ich hätte doch Zeit. Jürgen Gimbel musste damals aus gesundheitlichen Gründen aufhören.

Welche Aufgaben erledigst Du hauptsächlich?
Die Warm-Up-Trikots rauslegen, darauf achten, dass die Gäste genug Wasser haben, Duschhandtücher und Getränke für die Schiedsrichter vorbereiten und während des Spiels die Trinkflaschen der Mannschaft immer mit Wasser auffüllen. Für die anderen Dinge in der Kabine sorgt unser Equipment-Manager Wolfgang Janout.

Wann fängt dein Arbeitstag an einem Spieltag an und wann ist er zu Ende?
Gegen 14 Uhr bei Heimspielen und das geht dann bis etwa 23:30 Uhr. Auswärts kommt es darauf an, wo wir hinfahren. Die weiteste Strecke ist Weißwasser. Da fahren wir um 09:00 oder 10:00 Uhr los und kommen am nächsten Morgen gegen 05:00 Uhr zurück.

Bist du bei allen Auswärtsfahrten dabei?
Ja, immer auf dem gleichen Platz – dem Undankbarsten: Am Hintereingang schräg gegenüber der Toilette. Unten sitzen auch die Trainer, Physios, Equipment-Manager und manchmal die Jungs vom Videoteam. Die Spieler hocken oben im Doppeldecker. Am liebsten fahre ich nach Heilbronn, denn das ist eine relativ kurze Entfernung. Kaufbeuren mag ich nicht, weil wir da meistens verlieren.

Was kommt in den großen roten Skikoffer, der hinten am Bus montiert ist?
Trikots, Schläger, Kisten mit Kaffee, Obst, Stock- und Isolierband, um die Stutzen zu fixieren. Außerdem weitere Ausrüstungsgegenstände und Material wie eine Werkzeugkiste mit Schraubenziehern, Zangen, Säge und die Plastikrohre für unser ‚Handschuh-Trocknungssystem‘. Am wertvollsten sind die Carbon-Schläger. Für einen zahlt man zwischen 250 und 300 Euro, pro Spieler und Saison gehen schon mal acht, neun Stück kaputt.

Hast Du schon einmal ein Auswärtsspiel verpasst?
Ja, vor einigen Jahren die Fahrt nach Garmisch. Die Abfahrtszeit wurde vorverlegt und ich bekam die Info nicht. Als ich um 10:00 Uhr am Stadion war, dachte ich erst, ich sei zu früh, bis der Eismeister meinte: ‚Was machst du hier. Der Bus ist schon längst weg.‘ Bei Sonderzügen bin ich in der Regel im Zug, mit Ausnahme der Fahrt nach Dresden. Da saß ich im Mannschaftsbus. Und beim ersten Sonderzug nach Miesbach konnte ich nicht mit, weil am nächsten Tag meine Zwischenprüfung auf dem Programm stand.

Stand der Bus öfters auch im Stau?
Nein, eigentlich nur beim ersten Oberliga-Finalspiel 2013 auf dem Weg nach Kassel. Wir hingen zwischen zwei Ausfahrten fest. Wir fuhren dann, eskortiert von der Polizei, rückwärts bis zur nächsten Autobahn-Abfahrt und über die Landstraße ans Auestadion. Erst eine halbe Stunde vor Spielbeginn war die Mannschaft da. Dann ging’s schnell, schnell, die Sachen an und ab aufs Eis.

Welche war die schönste Saison?
Ganz klar, die Meisterschaft in Kassel. Nach der Schlusssirene haben alle Spieler ihre Ausrüstungsgegenstände in die Luft geworfen. Ist aber alles wieder aufgetaucht. Dann die Polonaise im Doppeldeckerbus und endlose Feiern. Aus dem Pokal wurde eine Mischung aus Bier, Wein, Sekt und einem Schuss „Captain-Morgan-Rum“ getrunken. Solange das einigermaßen kalt war ging’s, am Ende schmeckte es nur noch ekelhaft. Dazu wurden kurz vorher auch die EC-Junioren Deutscher Meister. Beim entscheidenden Spiel in Klostersee waren 200 Nauheimer im Stadion. Anschließend spielte die Erste Mannschaft dort.

Und welche war die schlimmste?
Der traurigste Abend war beim Playoff-Spiel 1998 gegen Iserlohn, nach dem Mark Teevens verstarb. Da stand ich oben an der Falttür, wo sich heute die VIP-Lounge befindet. Die Mannschaft versammelte sich im Raum und wurde über die tragische Nachricht informiert. Die schlimmste Saison war 2005/06. Monatelang wurden die Spieler vertröstet, bekamen kein Geld und nach der Insolvenz herrschte Weltuntergangsstimmung.

Wer war der außergewöhnlichste Spieler oder Trainer, den du im EC-Trikot bzw. an der Bande erlebt hast?
Frank Carnevale. Der hat 24/7 Hockey gelebt. Wenn er mich mal ‚ankackte‘, kam hinterher immer das ‚Sorry‘. Er hockte stundenlang mit dem Laptop im Büro. Bei den Spielen musste extra ein Stuhl an der Trainerbank sein. Aber Frank saß da maximal zehn Sekunden. Aber wehe, wenn der Stuhl fehlte. Sein Lieblingswort begann mit  „F…“ – das hat er in jedem Satz mehrfach verwendet, so oft, das konnte man gar nicht zählen.

Bist du an der Bande schon einmal in eine handfeste Auseinandersetzung geraten?
Einmal bei einem Playoff-Match gegen die Hannover Indians mit Trainer Joe West. Die Fäuste sind geflogen. Es gab zu der Zeit noch keine Plexiglasscheibe zwischen den Mannschaftsbänken.

Erzähle uns von Deinem kuriosesten Erlebnis?
Puh, das sind einige. Beim Heimspiel gegen Netphen hatte ein Gästeakteur keinen Schläger dabei. Wir haben ihm aus unserem Materiallager einen verkauft, damit er überhaupt auflaufen konnte. Einmal habe ich das Time-Out-Zeichen gemacht, weil ich dachte, Frank Carnevale, will eine Auszeit nehmen. Dann brüllte auch Assistenztrainer Marcus Jehner, aber der Schiedsrichter reagierte nicht. Ich dachte, ich zeige das „T“ sicherheitshalber nochmal an. Danach gab es die Auszeit und der Coach tobte, weil er das gar nicht wollte. 

Wer sind Deine persönlichen Starting Six? 
Felix Bick im Tor. Dann die Schmidts in der Abwehr, Kevin und Tomas, der immer ganz ruhig, sachlich, fröhlich, gut gelaunt war und ständig mit einem lockeren Spruch auf den Lippen. Im Sturm vorneweg Walt Poddubny. Der hat nie raushängen lassen, dass er mal NHL gespielt hat. Dann die „Pferdelunge“ Daniel Oppolzer, der schnaufte wie ein Gaul. Und Svein Enok Nörstebö, der Norweger. Ein lustiger Spaßvogel. Trainer wäre, ganz klar, Frank Carnevale. Ihn verband eine Hassliebe mit einigen Spielern. Aber man wusste, woran man ist. Ein super Motivator.

 

„Ralle“, Danke für Deine langjährige, zuverlässige, vorbildliche Unterstützung unserer Mannschaft und das interessante Gespräch.
 
Foto: Chuc.de